Healthcare und Life Sciences

Bekämpfung der Arzneimittelknappheit – Bundestag berät Regierungsentwurf

Die Bundesregierung will den schwerwiegenden Lieferengpässen bei Medikamenten entgegensteuern und hat dazu einen Gesetzentwurf (Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz – ALBVVG) beschlossen, der am 24. Mai 2023 im Bundestag beraten wurde. Insbesondere im Bereich der Festbeträge, der Rabattverträge sowie der Versorgung mit Kinderarzneimitteln sind zahlreiche Änderungen vorgesehen.

I. Entwurf für ein „Lieferkettenengpassbekämpfungsgesetz“ 

Im Folgenden werden die im Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen zusammengefasst:

  • Für Kinderarzneimittel werden die Preisregeln gelockert: Festbeträge und Rabattverträge werden abgeschafft. Pharmazeutische Unternehmer können ihre Abgabepreise einmalig um bis zu 50 Prozent des zuletzt geltenden Festbetrages bzw. Preismoratorium-Preises anheben. Krankenkassen übernehmen die entsprechenden Mehrkosten von ärztlich verordneten Arzneimitteln. Zukünftig dürften keine Festbetragsgruppen mehr mit Kinderarzneimitteln gebildet werden.

    Das BfArM erstellt dazu eine Liste von Arzneimitteln, die für die Behandlung von Kindern bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres notwendig sind. Für diese sollen bestehende Festbeträge durch den GKV-Spitzenverband innerhalb von sechs Wochen aufgehoben werden.

     

  • Antibiotika mit Wirkstoffproduktion in der EU und im EWR müssen bei den Ausschreibungen der GKVen zusätzlich (bevorzugt) berücksichtigt werden, was eine grundsätzliche Änderung der einschlägigen vergaberechtlichen Vorgaben darstellt. Die Anbietervielfalt soll so erhöht werden.
  • Preisinstrumente für versorgungskritische Arzneimittel sollen im Fall einer Marktverengung gelockert werden können. Gibt es zu wenig Anbieter, können Festbetrag oder Preismoratorium einmalig um 50 Prozent angehoben werden.
  • Eine verbindliche, dreimonatige Lagerhaltung von rabattierten Arzneimitteln soll für Rabattverträge vorgeschrieben werden. Dies soll kurzfristigen Lieferengpässen bzw. gesteigerten Mehrbedarfen vorbeugen und eine bedarfsgerechte Versorgung sicherstellen.
  • Vorhandene Strukturen zur Bewältigung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln sollen gestärkt werden: Das BfArM erhält zusätzliche Informationsrechte u. a. gegenüber Herstellern und Krankenhausapotheken. Zudem wird ein Frühwarnsystem zur Erkennung von drohenden Lieferengpässen eingerichtet.
  • Das BfArM soll eine aktuelle Liste der Lieferengpässe bei Arzneimitteln mit versorgungsrelevanten und versorgungskritischen Wirkstoffen auf seiner Internetseite bekannt machen.
  • Verbesserung der Versorgung durch Krankenhausapotheken und krankenhausversorgende Apotheken: Die Bevorratungsverpflichtungen für parenteral anzuwendende Arzneimittel und für Antibiotika zur intensivmedizinischen Versorgung sollen erhöht werden.
  • Verfügbarkeit neuer Reserveantibiotika: Die Regeln zur Preisbildung sollen so angepasst werden, dass der finanzielle Anreiz für die Entwicklung von neuen Reserveantibiotika für pharmazeutische Unternehmen verstärkt wird.
  • Der Preisdruck durch Zuzahlungsbefreiungsregeln soll gesenkt werden: Statt heute 30 Prozent liegt die Zuzahlungsbefreiungsgrenze künftig bei 20 Prozent. Das bedeutet: Liegt der Preis mindestens 20 Prozent unter dem Festbetrag, kann der GKV-Spitzenverband Arzneimittel von der Zuzahlung freistellen. Der Preisdruck bei Festbeträgen soll dadurch gedämpft werden.
  • Vereinfachung der Austauschregeln für Apotheken: Ist ein Arzneimittel nicht verfügbar, dürfen Apotheker ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben. Für jeden vorgenommenen Austausch sollen Apotheken und Großhändler einen Zuschlag von 0,50 EUR erhalten. Können die verordneten Arzneimittel nur noch in Kleinpackungen abgegeben oder muss aus einer Packung eine Teilmenge entnommen werden, wird die Zuzahlung für die Versicherten auf die verordnete Menge begrenzt.

II. Reaktionen auf den Gesetzentwurf

Die Reaktionen auf den Entwurf sind gemischt, sodass Änderungen im parlamentarischen Verfahren nicht unwahrscheinlich sind.

Der Bundesrat gab am 12. Mai 2023 eine Stellungnahme ab und forderte insbesondere, unter Einbeziehung der Pharmabranche eine langfristige Strategie zu erarbeiten, um die Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln auch in Zukunft sicherzustellen. Dabei müsse es ein zentrales Anliegen sein, insbesondere die eigene Produktion und Forschung zu stärken und zu fördern. Kurzfristig solle im weiteren Gesetzgebungsverfahren geprüft werden, ob eine angemessene Vorhaltung von versorgungsrelevanten Arzneimitteln im Regelsystem auf allen Handelsstufen, insbesondere beim pharmazeutischen Großhandel, ausgebaut werden kann.

Von Seiten der Krankenkassen wurde die Kritik geäußert, dass die Lösung nur auf die (Erhöhung der) Vergütung setze. Für eine nachhaltige Verfügbarkeit von Arzneimitteln bedürfe es nämlich außerdem 

  • einer Verbesserung der Informations- und Datenlage, wie bspw. in Form einer tagesaktuellen, automatisierten Datenbasis zur Verfügbarkeit von Arzneimitteln,
  • weitergehender Bevorratungspflichten auf allen Handelsstufen, wobei neben den krankenhausversorgenden Apotheken auch der pharmazeutische Großhandel einzubeziehen ist,
  • einer nachhaltigen Diversifizierung von Produktion und Lieferketten in versorgungskritischen Bereichen.

III. Weiteres Verfahren

Der Deutsche Bundestag hat den Entwurf bereits am 24. Mai 2023 in Erster Lesung beraten. Nun soll voraussichtlich in der 24. KW eine öffentliche Sachverständigenanhörung im Gesundheitsausschuss stattfinden. In diesem Rahmen werden auch die Fachverbände nochmals Gelegenheit haben, ihre Kritik am Vorhaben gegenüber den Abgeordneten zu äußern. Erfahrungsgemäß werden sodann die Gesundheitsexperten der Fraktionen Änderungsanträge einbringen. Bereits in der 25. KW soll das Gesetz im Bundestag in Zweiter und Dritter Lesung beschlossen werden. Die nötige zweite Befassung im Bundesrat könnte in der 27. KW folgen, damit das Vorhaben schon um den 1. August 2023 in Kraft treten kann, so die derzeitige noch vage Prognose.

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