Arbeitsrecht

BAG: Urlaubsanspruch während Mutterschutz und Elternzeit

Das BAG (Urteil vom 16. April 2024 – 9 AZR 165/23) hat entschieden, dass sich das Recht des Arbeitgebers aus § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG, den Jahresurlaub für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um 1/12 zu kürzen, allein auf den bezahlten Erholungsurlaub bezieht, nicht dagegen auf die Urlaubsabgeltung. Die zur Ausübung des Kürzungsrechts erforderliche rechtsgeschäftliche Erklärung muss dem Arbeitnehmer deshalb noch im bestehenden Arbeitsverhältnis zugehen. Geschieht dies nicht, steht Arbeitnehmern die volle Urlaubsabgeltung zu, was im Einzelfall zu erheblichen finanziellen Konsequenzen für Arbeitgeber führen kann. 

Sachverhalt

Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltung aus den Jahren 2015 bis 2020. 
Die Klägerin war bei der Beklagten vom 1. Februar 2009 bis zum 25. November 2020 als Therapeutin angestellt. Seit dem Jahr 2010 belief sich ihre wöchentliche Arbeitszeit auf 36 Stunden bei einer Verteilung auf fünf Wochentage. Ihr arbeitsvertraglicher Jahresurlaub betrug 29 Arbeitstage. Ab dem 24. August 2015 befand sich die seinerzeit mit ihrem ersten Kind schwangere Klägerin im Mutterschutz. Zu diesem Zeitpunkt stand ihr noch ein Arbeitstag Urlaub aus dem laufenden Jahr zu. Im unmittelbaren Anschluss an die Mutterschutzfrist nahm sie Elternzeit in Anspruch. Daran schlossen sich nahtlos die Mutterschutzfristen anlässlich der Geburt eines weiteren Kindes an, nach deren Ablauf die Klägerin Elternzeit bis zum 25. November 2020 nahm. Mit Schreiben vom 8. Juli 2020 kündigte sie das Arbeitsverhältnis zum Ablauf der Elternzeit am 25. November 2020. Bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses hatte die Beklagte nicht erklärt, den auf die Elternzeit bezogenen Urlaub zu kürzen.

Mit Schreiben vom 15. März 2021 forderte die Klägerin die Beklagte vergeblich auf, den Resturlaub aus den Jahren 2015 bis 2020 von insgesamt 146 Arbeitstagen abzugelten. Die Beklagte machte geltend, sie könne den jeweiligen Jahresurlaub nach § 17 Abs. 1 S.1 BEEG auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen. Zumindest errechne sich der Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG auf „Null“, weil die Klägerin 13 Wochen vor Ende des Arbeitsverhältnisses keine Vergütung bezogen habe. Jedenfalls seien etwaige Urlaubsansprüche verjährt. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt, das Landesarbeitsgericht wies die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurück.
 

Entscheidung des BAG

Die Revision der Beklagten vor dem BAG blieb erfolglos. Nach Ansicht des BAG muss die Kürzungserklärung im bestehenden Arbeitsverhältnis abgegeben werden. Das Kürzungsrecht setze voraus, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub bei Zugang der Kürzungserklärung noch besteht. Es könne demnach nicht mehr ausgeübt werden, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist und der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaubsabgeltung hat.

  • Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG sei der Urlaub abzugelten, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Dies gelte nach § 17 Abs. 3 BEEG auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis im Anschluss an die Elternzeit nicht fortgesetzt wird. Ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung setze daher voraus, dass zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch offene Urlaubsansprüche bestehen, die nicht mehr erfüllt werden können, weil das Arbeitsverhältnis beendet ist.
  • Weder der zweimalige Mutterschutz noch die beiden Elternzeiten, die die Klägerin in Anspruch nahm, stünden der Entstehung von Urlaubsansprüchen entgegen. Für die Mutterschutzfristen folge dies unmittelbar aus § 24 Satz 1 MuSchG, wonach die Ausfallzeiten wegen eines Beschäftigungsverbots für die Berechnung des Anspruchs auf bezahlten Erholungsurlaub als Beschäftigungszeiten gelten. Auch die Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG  berücksichtige die Zeiten der Inanspruchnahme von Elternzeit zunächst bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs uneingeschränkt, räume dem Arbeitgeber jedoch das Recht ein, den Urlaubsumfang für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit im Wege der Kürzung an die ausgesetzte Arbeitspflicht des Arbeitnehmers anzupassen.
  • Diese Ansprüche entfielen auch nicht gemäß § 7 Abs. 3 BurlG, wonach der Urlaub grundsätzlich im Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Vielmehr bestünden sie wegen der nahtlos aneinander anschließenden Mutterschutzfristen und Elternzeiten nach dem Ende der zweiten Elternzeit fort. Dies ergebe sich aus § 24 S. 2 MuSchG bzw. § 17 Abs. 2 BEEG, die betreffend den Urlaub und Verfall des Urlaubs eigenständige, von § 7 Abs. 3 BurlG abweichende Regelungen seien, nach denen der Urlaub auch nach Ablauf der Beschäftigungsverbote/der Elternzeit im laufenden Jahr oder im Folgejahr genommen werden könne. Dies gelte auch bei einer Mehrzahl von aufeinander folgenden Mutterschutzfristen und Elternzeiten.
  • Die Ansprüche seien auch nicht aufgrund einer Kürzungserklärung der Beklagten gemäß § 17 Abs. 1 BEEG teilweise untergegangen. Möchte der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Erholungsurlaub nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG kürzen, müsse er die entsprechende Erklärung im bestehenden Arbeitsverhältnis abgeben. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bilde eine Zäsur, die nicht nur die gegenseitigen Hauptleistungspflichten, sondern auch den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub betreffe. Trotz des gemeinsamen Ursprungs bestehe zwischen Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruch keine Zweckidentität, die es erforderte, den Urlaubsanspruch, der eine bezahlte Freistellung zum Inhalt hat, und den Abgeltungsanspruch, der einen reinen Geldanspruch darstellt, gleich zu behandeln. Der Arbeitnehmer könne nicht mehr zu Erholungszwecken unter Fortzahlung seines Arbeitsentgelts von der Arbeitspflicht freigestellt werden. An die Stelle des Urlaubsanspruchs trete daher der Urlaubsabgeltungsanspruch, bei dem es sich um einen Geldanspruch handelt. Das Gesetz unterstelle jedoch allein den „Erholungsurlaub“ der Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers, nicht dagegen den auf Geldzahlung gerichteten Abgeltungsanspruch. Dagegen spreche auch nicht, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG die – vom BAG mittlerweile aufgegebene – Surrogationstheorie vor Augen hatte, nach der der Urlaubsabgeltungsanspruch Erfüllungssurrogat des Urlaubsanspruchs sei und aufgrund der Zweckidentität auch nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gekürzt werden könne. Diese Theorie sei aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben nicht länger haltbar. Außerdem sei ein Surrogatscharakter im Gesetzeswortlaut nicht angelegt.
  • Der Anspruch sei auch nicht verjährt. Die Verjährung könne frühestens beginnen, wenn der Anspruch fällig sei. § 24 S. 2 MuSchG und § 17 Abs. 2 BEEG bestimmten jedoch, dass der Urlaub abweichend von § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG nicht im „laufenden Kalenderjahr“ gewährt und genommen werden müsse und verschöben das maßgebliche Urlaubsjahr auf die Zeit nach Ablauf der Mutterschutzfristen bzw. der Elternzeit. 
  • Schließlich stehe dem Urlaubabgeltungsanspruch auch nicht entgegen, dass die Klägerin in den letzten 13 Wochen vor Ende des Arbeitsverhältnisses keine Vergütung bezogen habe. Zwar bemesse sich das Urlaubsentgelt gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 BurlG nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst der letzten 13 Wochen vor Urlaubsbeginn. Bei Mutterschutz und Elternzeit liege aber ein unverschuldetes Arbeitsversäumnis nach § 11 Abs. 1 S. 3 BurlG vor. Abzustellen sei daher auf die 13 Wochen vor Beginn des Mutterschutzes.

Gleiss Lutz kommentiert

Mit der aktuellen Entscheidung bestätigt das BAG seine bisherige Rechtsprechung (Urteil vom 19. Mai 2015 – 9 AZR 725/13) und damit die Abkehr von der Surrogationstheorie, indem es den Abgeltungsanspruch im Verhältnis zum Urlaubsanspruch erneut als wesensverschieden ansieht. In sich konsequent folgert es daraus, dass nur der Urlaubsanspruch, nicht jedoch der Abgeltungsanspruch, der Kürzung unterliegt. Wolle der Arbeitgeber eine Zahlungspflicht verhindern, so müsse er die Kürzungserklärung bereits im bestehenden Arbeitsverhältnis – also bevor der Urlaubsanspruch in einen Abgeltungsanspruch übergeht – abgeben. Versäume er die rechtzeitige Kürzungserklärung, könne er den dann entstandenen Urlaubsabgeltungsanspruch als selbstständigen Geldanspruch nicht nachträglich kürzen. 

Diese Rechtsprechung dürfte viele Arbeitgeber nicht überzeugen und sie erscheint insbesondere vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG auch zweifelhaft. Gleichwohl ist sie für die Praxis maßgebend und ist es deshalb Arbeitgebern zu raten, die Kürzungserklärung nach § 17 Abs. 1 BEEG bereits bei Bestätigung der Inanspruchnahme von Elternzeit, jedenfalls aber noch vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugeben.

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