Arbeitsrecht

BAG: Mindestehedauer- und Späteheklausel bei Hinterbliebenenversorgung

Bieten Arbeitgeber Versorgungsleistungen für Hinterbliebene ihrer Mitarbeiter an, werden deren Voraussetzungen meist ausführlich geregelt. Ein Zweck ist häufig, sog. reine „Versorgungsehen“ nicht finanzieren zu müssen, in denen das bestimmende Motiv der Hochzeit weniger das (späte) Liebesglück zweier Menschen, als vielmehr die finanzielle Absicherung des Hinterbliebenen ist. Derartige Regelungen sind sorgsam und im Einklang mit der Rechtsprechung zu entwerfen. Das zeigt die Entscheidung des BAG vom 21. November 2023 (3 AZR 44/23) in Bezug auf das AGB-Recht sowie das AGG deutlich.

Sachverhalt

Die Parteien stritten um die Zahlung einer Hinterbliebenenrente. Die Klägerin war die Witwe des im Jahr 1954 geborenen und später infolge eines Autounfalls verstorbenen Mitarbeiters der Beklagten. Dieser war seit 1993 als leitender Angestellter beschäftigt. Der Arbeitsvertrag regelte einen Anspruch des Mitarbeiters auf betriebliche Altersversorgung aus einer bei der Beklagten geltenden Regelung in einer Versorgungsordnung. Diese Versorgungsordnung aus dem Jahr 1983 galt im Wege einer Gesamtzusage. Sie regelte außerdem eine Hinterbliebenenversorgung. Voraussetzung hierfür war, dass die Ehe vor Vollendung des 60. Lebensjahrs geschlossen wurde sowie am 1. Dezember eines Jahres vor dem Tod des Mitarbeiters mindestens ein Jahr bestand. Später schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat eine Rahmenbetriebsvereinbarung, die die ehemalige Versorgungsordnung inhaltlich identisch festschrieb. Die Klägerin und der Mitarbeiter, zu diesem Zeitpunkt bereits über 60 Jahre alt, heirateten im Januar 2018. Im September 2018 starb der Mitarbeiter. Mit der Klage begehrte die Witwe Hinterbliebenenrente ab Oktober 2018 bis Januar 2020 und für die Zeit danach die Feststellung einer entsprechenden Zahlungsverpflichtung. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, auf die Berufung der Klägerin gab das Landesarbeitsgericht der Klage statt.

Die Entscheidung

Das BAG hielt die Revision der Beklagten für unbegründet und bestätigte das Urteil des LAG: 

  • Zunächst bestimmte das BAG, dass nur die Versorgungsordnung aus dem Jahr 1983 und nicht die später geschlossene Rahmenbetriebsvereinbarung Grundlage des Anspruchs sein könne. Zwar seien Bezugnahmen auf allgemeine Versorgungswerke im Regelfall dynamisch auszulegen, weil sie interessengerechter als statische Verweisungen seien, die den Rechtszustand im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abbilden. Aber eine allgemein gehaltene Verweisung in einem Arbeitsvertrag mit leitenden Angestellten dürfe regelmäßig nicht dahingehend verstanden werden, dass sie auch Betriebsvereinbarungen umfasse. Die Interessen leitender Angestellter werden grundsätzlich nicht vom Betriebsrat vertreten. Demzufolge müsse hinreichend deutlich werden, dass sich die Bezugnahme ausnahmsweise auch auf eine Betriebsvereinbarung erstrecken sollte. 
     
  • Nach dem BAG sei die Späteheklausel im Arbeitsvertrag nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Die Späteheklausel verstoße gegen das Verbot der Altersdiskriminierung gem. § 7 Abs. 1 i.V.m. §§ 1, 3 Abs. 1 AGG. Die Eheschließung vor Vollendung des 60. Lebensjahres als Voraussetzung für die Hinterbliebenenrente bewirke eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters. Diese Benachteiligung sei nicht gerechtfertigt. Die Regelung verfolge zwar ein legitimes Ziel, sei aber nicht angemessen, da sie Versorgungsberechtigte bei einer Eheschließung nach dem 60. Lebensjahr vollständig ausschließe. Auch knüpfe sie mit der Vollendung des 60. Lebensjahrs an kein betriebsrentenrechtliches Strukturprinzip an, wonach zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Zäsur im Arbeitsverhältnis eintrete (z.B. ein Zeitpunkt, zu dem typischerweise mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses oder dem Eintritt des Versorgungsfalls gerechnet werden könne).
     
  • Auch die Regelung über die Mindestehedauer hielt das BAG für unwirksam. Zunächst hob das BAG hervor, dass die Unwirksamkeit der Späteheklausel nicht zugleich zur Unwirksamkeit der Mindestehedauerklausel führe. Im Hinblick auf die Versorgungsordnung, auf die als Gesamtzusage die §§ 305 ff. BGB Anwendung fänden, sei § 306 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen. Hiernach bliebe eine Klausel wirksam, wenn sie mehrere Regelungen enthält, wovon eine Regelung unwirksam ist, der unzulässige Teil aber sprachlich eindeutig abgrenzbar sei. Bleibe – wie hier – nach Streichung der unwirksamen Regelung eine verständliche Regelung, könne sie fortgelten (sog. blue-pencil-Test). Das BAG folgte auch nicht der Begründung des LAG, welches eine mittelbare Diskriminierung angenommen hatte, weil mit zunehmendem Alter die statistische Wahrscheinlichkeit steige, die Voraussetzungen der Regelung nicht mehr zu erfüllen. Hierzu habe das LAG keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Die Unwirksamkeit folge auch nicht aus § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, wonach eine unangemessene Benachteiligung anzunehmen sei, wenn eine Bestimmung mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der sie abweicht, nicht zu vereinbaren ist. Es bestehe keine Rechtspflicht des Arbeitgebers, Leistungen der Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Falls er diese Leistungen anbieten wolle, müsse er sich nicht den Regeln der gesetzlichen Sozialversicherung anschließen oder z.B. die gesetzliche Hinterbliebenenversorgung nach § 46 Abs. 2a SGB IV nachzeichnen. Auch gefährde die Mindestehedauerklausel den Vertragszweck nicht im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB, sondern reduziere lediglich die Versorgung.
     
  • Jedoch sei die Mindestehedauerklausel wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 S. 1, 2 BGB unwirksam. Danach ist jede Benachteiligung eines rechtlich anerkannten Interesses des Arbeitnehmers unangemessen, die nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt oder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird. Auf dieser Basis entschied das BAG, dass eine Regelung, die die Hinterbliebenenversorgung durch eine Mindestehedauer am 1. Dezember vor dem Tod des Versorgungsberechtigten beschränke und keine Möglichkeit enthalte, das Vorliegen einer Versorgungsehe auszuschließen, eine unangemessen Benachteiligung darstelle. Der Arbeitnehmer könne darauf vertrauen, dass die zugesagte Versorgung Hinterbliebener nicht an überzogene Anforderungen geknüpft werde. Auf Seiten des Arbeitgebers sei dessen berechtigtes Interesse an der Begrenzung von Leistungen an Hinterbliebene zu berücksichtigen. Es gehe bei der Mindestehedauer darum, solche Risiken vom Schutz auszunehmen, die sich bereits konkretisiert haben, wenn der von der Versorgungsordnung vorgesehene Schutz eintrete (Ausschluss „objektiver Versorgungsehen“). Nach ständiger Rechtsprechung sei eine Mindestehedauer von einem Jahr zwar angemessen, die vorliegende Klausel schließe aber eine Hinterbliebenenversorgung für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr aus. Auch der Stichtag (1. Dezember) sei nicht (auch nicht unter dem Aspekt der Verwaltungsvereinfachung) gerechtfertigt. Es müsse Hinterbliebenen auch im Unterschied zur Regelung in der Versorgungsordnung möglich sein, nachweisen zu können, dass das später eingetretene Todesfallrisiko nicht bereits bei Eheschließung konkretisiert war (z.B. – wie hier – den Tod durch einen späteren Autounfall).

Gleiss Lutz kommentiert

Das Urteil des BAG zeigt, wie wichtig eine sorgfältige Ausarbeitung von Hinterbliebenenleistungen in Versorgungordnungen ist. Werden entsprechende Regelungen nicht unter Beachtung geltenden Rechts entworfen, können dies Arbeitgeber Jahre später mit langen, kostspieligen Prozessen teuer bezahlen. Die Versorgungsordnung enthielt vorliegend zwei „klassische“ Fehler: Die festgelegte Altersgrenze in Späteheklauseln muss an ein bAV-Strukturprinzip anknüpfen. Willkürliche Altersgrenzen sind altersdiskriminierend, wie das BAG bereits in der Vergangenheit feststellte (z.B. Urteil vom 19. Februar 2019 - 3 AZR 215/18). Zudem hätte die Mindestehedauerklausel nicht auf den 1. Dezember abstellen dürfen. Zwar ist mit dem BAG eine Mindestehedauer von einem Jahr in AGB (noch) zulässig. Die vorliegende Regelung ging jedoch darüber hinaus. Das BAG äußerte sich nicht dazu, wie die konkrete Klausel in einer Betriebsvereinbarung zu bewerten gewesen wäre. Zugleich fehlte es an einer Öffnungsklausel. Hinterbliebene müssen die Möglichkeit haben, darzulegen und zu beweisen, dass sich zum Zeitpunkt der Eheschließung das Risiko des späteren Todesfalls noch nicht konkretisiert hat. Das wäre hier auch gelungen, da der Ehemann infolge des Autounfalls verstarb. Neuere Versorgungsordnungen dürften diese typischen Fehler nicht mehr enthalten. Die Entscheidung bietet jedoch einen guten Anlass, alte Versorgungsordnungen auf ihren Anpassungsbedarf zu prüfen.

Weiterleiten
Kompetenz