BAG: Einführung eines Headset-Systems ist mitbestimmungspflichtig

Das BAG hat in einem Beschluss vom 16. Juli 2024 – 1 ABR 16/23 entschieden, dass die Einführung eines Headset-Systems, das Arbeitnehmern im Einzelhandel mittels eines sog. Conference-Modus eine drahtlose Kommunikation ermöglicht, selbst dann der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt, wenn die Gespräche weder aufgezeichnet noch gespeichert werden können. Das BAG war der Ansicht, dass das System zur Überwachung der Arbeitnehmer geeignet ist, weil es auch Vorgesetzten ermöglicht, die Kommunikation in Echtzeit mitzuhören. 

Sachverhalt 

Die Arbeitgeberin betreibt bundesweit zahlreiche Filialen im Textil-Einzelhandel. Im Jahr 2021 führte sie ein Headset-System ein, um die interne Kommunikation innerhalb der Filialen zu verbessern. Die Headsets sind über eine lokal eingerichtete Basisstation miteinander verbunden und ermöglichen drahtlose Kommunikation. Alle Mitarbeiter, die ein Headset nutzen, sind in einer gemeinsamen Kommunikationsgruppe verbunden, sodass ihre Gespräche von allen anderen Teilnehmern mitgehört werden können (sog. Conference-Modus). Die Headsets sind nicht personengebunden, sondern werden täglich zufällig aus einem Gerätepool entnommen. Weder das System selbst noch die Arbeitgeberin zeichnet auf oder überprüft, welcher Arbeitnehmer wann welches Gerät genutzt hat. Auch eine technische Möglichkeit zur Aufzeichnung von Sprachsignalen oder Geräuschen besteht nicht.

Der Betriebsrat einer Filiale argumentierte, dass durch das Mithören der Gespräche eine Überwachung der Arbeitnehmer möglich sei und deshalb ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bestehe. Er beantragte daher, der Arbeitgeberin die Nutzung des Systems ohne seine Zustimmung zu untersagen. Die Arbeitgeberin hingegen sah keine Überwachungsmöglichkeit und deshalb kein Mitbestimmungsrecht, da keine Aufzeichnung oder Speicherung erfolge.

Die Entscheidung

Das BAG entschied, dass die Einführung des Headset-Systems der zwingenden Mitbestimmung unterliegt. 

  • Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der „Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen“. Das BAG bekräftigte seine ständige Rechtsprechung, wonach bereits die objektive Eignung zur Überwachung ausreicht, um den Mitbestimmungstatbestand auszulösen. Ob eine Überwachung durch den Arbeitgeber beabsichtigt oder tatsächlich durchgeführt wird, sei dabei unerheblich.
  • Nach Ansicht des BAG war eine Überwachung im vorliegenden Fall möglich, weil nicht nur Kollegen, sondern auch Vorgesetzte die Gespräche über das Headset-System mithören können. Dass die Headsets keiner bestimmten Person zugeordnet werden, spiele keine entscheidende Rolle. Eine Identifizierung der sprechenden oder angesprochenen Person sei durch die Stimme, die Gesprächsinhalte oder in Kombination mit Dienstplänen möglich. Dadurch entstehe ein ständiger Überwachungsdruck, der das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer beeinträchtigen könne.
  • Zudem stellte das BAG klar, dass eine Überwachung nicht erst dann vorliegt, wenn Gespräche aufgezeichnet oder gespeichert werden. Bereits die Möglichkeit des Mithörens in Echtzeit genügt, um die Eignung zur Überwachung zu bejahen.

Trotz dieser Feststellungen hielt das BAG den Antrag des lokalen Betriebsrats für unbegründet. Da das Headset-System unternehmensweit eingeführt wurde, sei nicht er, sondern der Gesamtbetriebsrat zuständig.

Gleiss Lutz kommentiert

Wer die bisherige Rechtsprechung des BAG zur Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen kennt, dürfte von dieser Entscheidung kaum überrascht worden sein. Die Auffassung, dass bereits die objektive Eignung zur Überwachung ausreicht, um ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu begründen, führt in der betrieblichen Praxis dazu, dass jede technische Einrichtung – und damit grundsätzlich auch jedes IT-System –, die eine Möglichkeit der Überwachung bietet, der Mitbestimmung unterliegt. Im vorliegenden Fall mag diese Auslegung zu einem nachvollziehbaren Ergebnis geführt haben. Ob das BAG in der Zukunft angesichts der zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelt seine bisherige Rechtsprechung anpassen wird, bleibt abzuwarten. 

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