Arbeitsrecht

BAG: Böswillig unterlassener anderweitiger Verdienst

Das BAG (Urteil vom 7. Februar 2024 – 5 AZR 177/23) stellt zum böswilligen Unterlassen eines anderweitigen Verdienstes gem. § 11 Nr. 2 KSchG klar, dass es zu Lasten des Arbeitnehmers zu werten ist, wenn er durch sein Verhalten die Übermittlung von Vermittlungsangeboten durch die Agentur für Arbeit verhindert.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Zahlung von Annahmeverzugslohn für die Dauer eines Kündigungsschutzprozesses. Die beklagte Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger im November 2017 außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Mit seiner Kündigungsschutzklage hatte der Kläger vor dem Landesarbeitsgericht Erfolg und nahm seine Tätigkeit bei der Beklagten am 31. August 2020 wieder auf. Während des Kündigungsschutzprozesses bezog der Kläger, im Anschluss an eine Sperrzeit von November 2017 bis Februar 2018, bis Januar 2019 Arbeitslosengeld I. In dieser Zeit unternahm er keine eigenständigen Bewerbungsbemühungen für eine anderweitige Beschäftigung. Auch die Agentur für Arbeit (AfA) unterbreitete dem Kläger keine Stellenangebote, da er dies nicht wünschte und der AfA mitgeteilt hatte, er würde sich nur bewerben, wenn man ihn dazu zwinge. Potentielle Arbeitgeber würde er noch vor einem Vorstellungsgespräch über das laufende Kündigungsschutzverfahren und über seine Absicht informieren, bei der Beklagten weiterzuarbeiten. In der Zeit von Februar 2019 bis Juli 2020 erhielt der Kläger Leistungen vom Jobcenter, fand zunächst eine befristete Stelle, später eine geringfügige Beschäftigung und unternahm – nach eigener Darstellung – zumindest in der Zeit von Mai 2019 bis November 2019 eigene Bewerbungsbemühungen. Mit seiner Klage verlangt der Kläger die Zahlung von Annahmeverzugslohn für die Zeit vom 1. Januar 2018 bis zum 30. August 2020. Das Arbeitsgericht gab der Klage nur für den Zeitraum vom 1. April 2019 bis zum 30. August 2020 statt. Das Landesarbeitsgericht änderte das Urteil teilweise ab und sprach dem Kläger Annahmeverzugslohn für die volle Zeit vom 1. Januar 2018 bis zum 30. August 2020 zu.

Entscheidung des BAG

Auf die Revision der Beklagten hob das BAG das Urteil auf und wies es zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des LAG zurück. Dies begründete das BAG wie folgt:

  • Das LAG sei zwar zutreffend vom Vorliegen der Annahmeverzugsvoraussetzungen für den streitgegenständlichen Zeitraum ausgegangen. Mit seiner Begründung könne es aber den Einwand der Beklagten nicht zurückweisen, dass der Kläger es böswillig unterlassen habe, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen und den daraus (hypothetisch) erzielten Verdienst auf den Annahmeverzugslohn anzurechnen.
  • Ein Arbeitnehmer unterlasse gem. § 11 Nr. 2 KSchG böswillig anderweitigen Verdienst, wenn ihm vorgeworfen werden könne, dass er während des Annahmeverzugs vorsätzlich untätig geblieben sei und eine ihm zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufgenommen oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert habe. Für die Beurteilung der Böswilligkeit sei eine Gesamtabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Hierbei könne auch eine Verletzung sozialrechtlicher Handlungspflichten zu berücksichtigen sein, insbesondere die Pflicht des Arbeitnehmers zur aktiven Mitarbeit bei der Vermeidung oder Beendigung der Arbeitslosigkeit aus § 2 Abs. 5 SGB III. Es könne sich im Einzelfall auch eine Obliegenheit des Arbeitnehmers ergeben, aktiv ein Angebot für eine Arbeitsmöglichkeit abzugeben.
  • Ob eine anderweitige Tätigkeit zumutbar sei, könne nur im konkreten Einzelfall bestimmt werden. Eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen müsse der Arbeitnehmer aber nicht hinnehmen. Ein etwas geringerer Verdienst im Vergleich zur bisherigen Tätigkeit begründe hingegen noch keine Unzumutbarkeit, während ein Nettoverdienst unter dem Arbeitslosengeld I wiederum nicht zumutbar wäre. Eine anderweitige Tätigkeit dürfe auch nicht mit den Pflichten aus dem gekündigten Arbeitsverhältnis (z.B. aufgrund eines Wettbewerbsverbots) kollidieren.
  • Gemessen an diesen Voraussetzungen sei die Entscheidung des LAG fehlerhaft. Das LAG habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Kläger durch seine Äußerungen gegenüber der AfA selbst die Ursache dafür gesetzt habe, dass ihm über die Spanne von mehr als einem Jahr keine Vermittlungsvorschläge von der AfA übersandt wurden. Der Kläger habe die ihm obliegenden Handlungspflichten auch nicht durch die bloß formale Arbeitssuchendmeldung erfüllt, da er mit seinem Verhalten von vornherein verhindert habe, dass ihm eine zumutbare Arbeit überhaupt angeboten wurde. Dies entspreche nicht dem Verhalten einer tatsächlich um eine Beschäftigung bemühten Person. Darüber hinaus sei die Aufnahme einer lediglich geringfügigen Beschäftigung ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht geeignet, ein böswilliges Unterlassen und die Pflicht zu eigenen Bewerbungsbemühungen auszuschließen.

Das LAG ist nach der Zurückverweisung nunmehr gehalten, die Sache auf Basis der vom BAG aufgestellten Grundsätze neu zu verhandeln.

Gleiss Lutz kommentiert

Das BAG konkretisiert erfreulicherweise seine Rechtsprechung zum böswilligen Unterlassen eines anderweitigen Verdienstes und den sozialrechtlichen Mitwirkungspflichten des Arbeitnehmers. Danach kommt der Arbeitnehmer seinen Mitwirkungspflichten nach, wenn er sich arbeitssuchend meldet und den Vermittlungsangeboten der AfA nachgeht. Dies erfordert nach Ansicht des BAG nicht, dass der Arbeitnehmer unermüdlich eine zumutbare Arbeit suchen muss, auch nicht im Umfang einer Vollzeitstelle (anders noch LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30. September 2022 – 6 Sa 280/22). Zutreffend hält der Senat aber fest, dass die Annahme einer Teilzeitstelle nur abhängig von den Umständen des konkreten Einzelfalls genügen kann und die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht geeignet ist, ein böswilliges Unterlassen auszuschließen. Folgerichtig nimmt das BAG auch eine Böswilligkeit an, wenn der Arbeitnehmer sich zwar formal ordnungsgemäß arbeitssuchend gemeldet hat, durch sein Verhalten jedoch selbst die Ursache dafür setzt, dass ihm keine Vermittlungsangebote durch die AfA übersandt werden und er somit gegen seine Mitwirkungspflichten zur Beendigung der Arbeitslosigkeit verstößt.

Für den hinsichtlich des Vorliegens einer zumutbaren anderweitigen Tätigkeit darlegungs- und beweisbelasteten Arbeitgeber enthält das Urteil wichtige Hinweise. So muss der Arbeitgeber konkret zu einzelnen zumutbaren Tätigkeitsmöglichkeiten vortragen, die der Arbeitnehmer hätte ergreifen oder im Streitzeitraum über die AfA hätte vermittelt bekommen können. Der bloße Hinweis auf Arbeitsmarktstatistiken reicht dafür nicht aus. Der Arbeitgeber kann jedoch einen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer hinsichtlich der tatsächlichen Vermittlungsbemühungen geltend machen oder sich über eine nachträgliche amtliche Auskunft bei der AfA über die im Streitzeitraum freien Stellen informieren. Daneben kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bereits während des Kündigungsschutzprozesses geeignete Stellenangebote, etwa aus Jobportalen oder Zeitungsannoncen, übermitteln. Arbeitgeber sollten daher frühzeitig offene und geeignete Stellen dokumentieren und prüfen, ob sie dem Arbeitnehmer – ggf. auch unter Verzicht auf ein Wettbewerbsverbot – übermittelt werden können.

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