Arbeitsrecht

BAG: Änderung von Gesamtzusage über Urlaubsgeld nur unter Beteiligung des Betriebsrats

Bei der Gewährung von Sonderzahlungen wie z.B. dem Urlaubsgeld haben Arbeitgeber eine Vielzahl an Fallstricken zu beachten. Das zeigt die Entscheidung des BAG vom 21. Februar 2024 (10 AZR 345/22). Sowohl die Einführung als auch die spätere Abänderung des Urlaubsgelds ist mit großer Sorgfalt vorzunehmen. Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalte müssen im Einklang mit geltendem Recht verwendet werden. Nicht tarifgebundene Arbeitgeber müssen bei Regelungen über das Urlaubsgeld bestehende Betriebsräte einbeziehen. Werden Mitbestimmungsrechte übersehen, können sich Arbeitnehmer auf unter Umständen viele Jahre zurückliegende (aus ihrer Sicht günstigere) Regelungen berufen. 

Sachverhalt

Die drei Kläger stritten mit der nicht tarifgebundenen Beklagten, die die Instandhaltung von Windenenergieanlagen anbietet, über die Ansprüche auf Urlaubsgeld. Seit einigen Jahrzehnten gewährte die Beklagte ein jährliches Urlaubsgeld. Zwischen 2008 bis 2013 zahlte die Beklagte das Urlaubsgeld unter Bezugnahme auf ein Schreiben, das den Titel „Infos aus der Personalabteilung“ und „Urlaubsgeld (Angabe des jeweiligen Jahres) – Zahlung in voller Höhe, entsprechend der Urlaubsgeldregelungen“ trug, aus. Das Schreiben regelte die Höhe des Urlaubsgelds nach Betriebszugehörigkeit, Stichtags- und Rückzahlungsklauseln sowie, dass die „Urlaubsgratifikation (…) eine einmalige, freiwillige und jederzeit widerrufliche soziale Leistung [ist], (…). Durch die Zahlung wird für die Zukunft daher weder dem Grunde, noch der Höhe nach, auch nicht bezüglich der Auszahlungsmodalitäten, des Personenkreises der Bezugsberechtigten sowie der Ermittlung der Gratifikation ein Rechtsanspruch begründet.“ Auch in den Folgejahren 2014 bis 2019 zahlte die Beklagte unter Hinweis auf deren Freiwilligkeit und unter z.T. abweichenden Voraussetzungen weiter jährlich Urlaubsgeld aus. Ab dem Jahr 2015 enthielten die dem Anschreiben beigefügten „Grundsätze“ neben dem Urlaubsgeld außerdem Regelungen zu einem Weihnachtsgeld. In den Jahren 2018 und 2019 übersandte die Beklagte zusammen mit dem Anschreiben nochmals geänderte „Grundsätze“, die über die vorherigen Regelungen hinausgingen. Die Kläger traten 2016 und 2018 bei der Beklagten ein. Der Arbeitsvertrag eines Klägers enthielt die Regelung, dass „Gratifikationen, Prämien, Zulagen und sonstige Leistungen (…) im freien Ermessen der Firma“ liegen und „keinen Rechtsanspruch“ begründen. Im Jahr 2020 kündigte die Beklagte erstmals an, kein Urlaubsgeld auszuzahlen. Den Betriebsrat, der bei der Beklagten seit 2013 bestand, beteiligte die Beklagte nicht. Die Kläger machten den Anspruch auf Urlaubsgeld für das Jahr 2020 geltend. Das Arbeitsgericht Paderborn gab den Klagen der Kläger statt. Auf die Berufungen der Beklagten wies das Landesarbeitsgericht Hamm (LAG) die Klagen ab. 

Die Entscheidung 

Das BAG hielt die Revisionen der Kläger für begründet und hob die Urteile des LAG auf:

  • Das BAG entschied, dass den Klägern ein Anspruch auf Urlaubsgeld für das Jahr 2020 zustehe, der aus einer Gesamtzusage der Beklagten aus dem Jahr 2008 folge. Die Höhe des Urlaubsgelds setzte das BAG auf den maximal nach diesen Urlaubsgrundsätzen möglichen Betrag fest.
     
  • Das BAG wiederholte zunächst die Grundsätze für das Vorliegen einer wirksamen Gesamtzusage. Eine Gesamtzusage sei die an alle Arbeitnehmer des Betriebs oder einen nach abstrakten Merkmalen bestimmten Teil von ihnen in allgemeiner Form gerichtete ausdrückliche Willenserklärung des Arbeitgebers, bestimmte Leistungen erbringen zu wollen. Eine ausdrückliche Annahme des in der Erklärung enthaltenen Angebots werde nicht erwartet; die Arbeitnehmer nähmen das Angebot entsprechend § 151 Satz 1 BGB an. Der Inhalt werde somit Bestandteil des Arbeitsvertrags. Dies gelte auch für später in den Betrieb eintretende Arbeitnehmer.
     
  • Das BAG legte zunächst das Infoschreiben aus dem Jahr 2008 aus. Das Schreiben gewähre allen Mitarbeitern einen Anspruch auf Zahlung des Urlaubsgelds, die am 1. Juni eines jeden Jahres in einem ungekündigten, unbefristeten Arbeitsverhältnis stehen. Der Anspruch sei nicht auf das Jahr 2008 beschränkt. Nach dem BAG sei das Schreiben so auszulegen, dass das Urlaubsgeld jährlich gezahlt werde. Über die Höhe habe die Beklagte jährlich nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 315 BGB).
     
  • Der in dem Infoschreiben aus 2008 enthaltene Freiwilligkeitsvorbehalt sei wegen einer intransparenten Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt unwirksam gem. § 307 Abs.1 S. 1, 2 BGB. Auch der in den Arbeitsverträgen vereinbarte Freiwilligkeitsvorbehalt stehe nicht entgegen. Dieser sei ebenfalls nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam, weil er nicht auf den Entstehungsgrund etwaiger Ansprüche auf die genannten Leistungen abstelle und daher auch Individualabreden erfassen könne.
     
  • Da die Gesamtzusage aus dem Jahr 2008 auch für die später eingetretenen Kläger galt, war nunmehr fraglich, ob die Beklagte die Gesamtzusage durch die in den Folgejahren angepassten Schreiben inhaltlich abänderte. Dies sei nach dem BAG der Fall, etwa durch Einführung eines neuen Entgeltbestandteils (Weihnachtsgeld). Das BAG entschied, die Beklagte habe die Gesamtzusage nachträglich nicht einseitig zum Nachteil der Arbeitnehmer abändern können. Die Änderung der Grundsätze zum Urlaubsgeld gehöre zu den Entlohnungsgrundsätzen i.S.v. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, sodass der Betriebsrat hätte beteiligt werden müssen. Demnach hat der Betriebsrat in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung neuer Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung mitzubestimmen. Unbeachtlich sei, dass der Betriebsrat ursprünglich der Einführung des Urlaubsgelds als Grundsatz nicht zugestimmt habe. Im Zeitpunkt der Einführung habe er (mangels Bestehen) nicht zustimmen können. Eine nachträgliche Zustimmung sei nicht erforderlich. Auf die (auch jahrelange) widerspruchslose Hinnahme der Änderung der Grundsätze zum Urlaubsgeld durch den gebildeten Betriebsrat könne sich die Beklagte nach dem BAG nicht berufen. Die bloße Hinnahme eines mitbestimmungswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers durch den Betriebsrat reiche nicht aus, damit der Betriebsrat seine Mitbestimmung hinreichend ausgeübt habe.
     
  • Das BAG wendete auf den Verstoß gegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung an. Werden Entlohnungsgrundsätze ohne Beachtung des Mitbestimmungsrechts abgeändert, könnten demzufolge Arbeitnehmer eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze fordern. Dies sei vorliegend die Gesamtzusage auf Basis der Grundsätze aus 2008, da diese bei der Beklagten noch mitbestimmungsgemäß (ohne Betriebsrat) eingeführt worden seien.

Gleiss Lutz kommentiert

Das BAG wiederholt unter Bezugnahme auf seine ständige Rechtsprechung zunächst, dass eine Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt intransparent i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB und damit unwirksam ist. Auch Freiwilligkeitsvorbehalte in Arbeitsverträgen müssen der Transparenzkontrolle standhalten und z.B. den Vorrang der Individualabrede beachten. Solch unwirksame Klauseln sind für Arbeitgeber klassischerweise mit finanziell nachteiligen Folgen verbunden. Gesamtzusagen, die nicht einem wirksamen Freiwilligkeits- oder Widerrufsvorbehalt unterworfen sind, können grundsätzlich nur durch Individualvereinbarung oder unter den Voraussetzungen einer Änderungskündigung abgeändert werden. Für neu eintretende Arbeitnehmer gilt eine Gesamtzusage ebenfalls, allerdings mit dem Inhalt, den sie zum Zeitpunkt ihres Eintritts hatte. Besteht ein Betriebsrat und will der Arbeitgeber die Gesamtzusage abändern, muss er bei Zahlungen wie dem Urlaubs- oder Weihnachtsgeld das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG beachten. Das Mitbestimmungsrecht ist nach der Rechtsprechung des BAG weit zu verstehen und spielt vor allem bei nicht tarifgebundenen Arbeitgebern eine wesentliche Rolle. Nicht tarifgebundene Arbeitgeber benötigen daher bei jeder Änderung der Vergütungsstruktur die Zustimmung des Betriebsrates. Die Entscheidung des BAG zeigt die Konsequenzen einer unterbliebenen Beteiligung des Betriebsrats auf. Wichtig ist zudem, dass eine bloße „Hinnahme“ in der Regel keine Erklärung des Betriebsrats darstellt; dieser fasst seine Entschlüsse für gewöhnlich durch Beschluss.

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