Arbeitsrecht

Abweichung vom „Equal-Pay“-Grundsatz bei Arbeitnehmerüberlassung

Arbeitgeber, die als Verleiher Leiharbeitnehmer an einen Dritten überlassen, können vom Grundsatz der Gleichstellung („Equal-Pay“) kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung nach § 9 Nr. 2 Halbs. 3 AÜG a.F. nur dann abweichen, wenn für den Entleihzeitraum das einschlägige Tarifwerk für die Arbeitnehmerüberlassung aufgrund dieser Bezugnahme vollständig und nicht nur teilweise anwendbar ist.

BAG, Urteil vom 16. Oktober 2019 – 4 AZR 66/18

Der „Equal Pay“-Grundsatz

Bei der Arbeitnehmerüberlassung gilt der Gleichstellungsgrundsatz (auch „Equal Pay“-Grundsatz), wonach der Verleiher verpflichtet ist, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren (§ 8 Abs. 1 S. 1 AÜG). Durch einen Tarifvertrag kann vom Gleichstellungsgrundsatz abgewichen werden. Auch nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer können im Geltungsbereich eines solchen abweichenden Tarifvertrages dessen Anwendung vereinbaren. Dieser heute in § 8 Abs. 2 S. 3 AÜG und bis 31. März 2017 in § 9 Nr. 2 Halbs. 3 AÜG a.F. niedergelegte Grundsatz ist Gegenstand der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts.

Klage auf Gleichstellung mit den Stammarbeitnehmern beim Entleiher

Der Kläger war als Leiharbeitnehmer bei der Beklagten, einem Zeitarbeitsunternehmen, als Kraftfahrer eingestellt. Der zwischen dem Kläger und der Beklagten vereinbarte Arbeitsvertrag enthielt eine dynamische Bezugnahmeklausel auf die zwischen der DGB-Tarifgemeinschaft und dem Interessenverband deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) geschlossenen Tarifverträge für die Zeitarbeit. Daneben fanden sich im Arbeitsvertrag Regelungen, die von den tariflichen Bestimmungen abwichen. Der Kläger war in den Jahren 2014 und 2015 für ca. 1,5 Jahre bei einem Kunden der Beklagten (Entleiher) als Coil-Carrier-Fahrer eingesetzt. Für diesen Einsatz erhielt der Kläger von der Beklagten eine Vergütung von 11,25 EUR brutto pro Stunde. Die beim Entleiher als Coil-Carrier-Fahrer tätigen Stammarbeitnehmer erhielten nach den Tarifverträgen der Metall-und Elektroindustrie ein deutlich höheres Entgelt. Mit seiner Klage verlangte der Kläger für den Entleihzeitraum die Zahlung der Differenz zwischen der gezahlten Vergütung und der Vergütung, welche die vergleichbaren Coil-Carrier-Fahrer beim Entleiher erhielten.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers vor dem Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte Erfolg. Auch der Kläger hat nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts Anspruch auf die gleiche Bezahlung wie vergleichbare Stammarbeitnehmer beim Entleiher. Der Kläger und die Beklagte haben nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts keine wirksame Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz vereinbart. Eine solche Vereinbarung setze insbesondere nach Systematik und Zweck der Bestimmungen des AÜG eine vollständige Anwendung eines für die Arbeitnehmerüberlassung einschlägigen Tarifwerks voraus. Da der Arbeitsvertrag jedoch Abweichungen von den tariflichen Bestimmungen enthielt, die nicht ausschließlich zugunsten des Arbeitnehmers wirken, liege keine vollständige Bezugnahme in diesem Sinne vor. Mangels hinreichender Feststellungen über die Höhe der sich daraus ergebenden Differenzvergütungsansprüche konnte das Bundesarbeitsgericht nicht abschließend entscheiden und verwies die Sache zurück an das Landesarbeitsgericht.

Gleiss Lutz kommentiert

Die noch zur früheren Fassung des AÜG getroffene Entscheidung ist auch für die aktuelle Rechtslage relevant. Der § 8 Abs. 2 S. 3 AÜG erlaubt ebenfalls eine dauerhafte Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz durch Inbezugnahme eines Tarifvertrags. Zeitlich ist die Tarifdispositivität durch § 8 Abs. 4 AÜG auf die Dauer von neun Monaten beschränkt. Das Ergebnis überrascht, waren doch viele Stimmen in der Literatur bislang davon ausgegangen, dass eine Verweisung auf sachlich und inhaltlich zusammenhängende Regelungskomplexe ausreichend ist. Es bleibt abzuwarten, ob sich das Bundesarbeitsgericht in den Urteilsgründen zu den AGB-rechtlichen Anforderungen an Verweisungsklauseln auf die Tarifwerke der Zeitarbeit äußert, bei welchen auf Gewerkschaftsseite mehrere Tarifparteien beteiligt sind. Das BAG hatte 2013 die Bezugnahme auf Tarifverträge der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen („CGZP“) als intransparent angesehen, weil der Bezugnahmeklausel nicht zu entnehmen war, welcher Vertrag bei sich widersprechenden Regelungen den Vorrang erhalten soll (BAG NZA 2013, 680).

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