Bei der Prüfung, ob ein Unternehmen insolvenzrechtlich überschuldet ist und infolgedessen einen Insolvenzantrag stellen muss, spielt der Prognosezeitraum, für den das Unternehmen eine Liquiditätsplanung aufstellen muss, eine wesentliche Rolle. Ab dem 1. September sollten Geschäftsleiter, die eine solche Liquiditätsplanung erstellen (lassen), wieder vorsorglich einen Prognosezeitraum von zwölf Monaten zugrunde legen, um sich vor Haftungsrisiken zu schützen. Hintergrund ist, dass die Ausnahmeregelungen, die das SanInsKG in die InsO und das StaRUG einführte, zum 31. Dezember 2023 auslaufen. Dies hat bereits jetzt Einfluss auf Fortführungsprognosen, die über den Jahreswechsel 2023 hinausreichen.
1. Derzeitige Ausnahme- und Übergangsvorschriften zur insolvenzrechtlichen Fortführungsprognose laufen zum 31. Dezember 2023 aus
Nachdem sich die wirtschaftlichen Herausforderungen vieler Unternehmen aufgrund gestörter Lieferketten und (stark) gestiegener Preise durch den Ukraine-Konflikt in 2022 weiter verschärften, hatte der Gesetzgeber mit einer Anpassung des Gesetzes zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (SanInsKG, vormals COVInsAG) reagiert. Inhalt der Neuregelungen war unter anderem:
- eine Verkürzung des für die insolvenzrechtliche Fortführungsprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO zu berücksichtigenden Zeitraums von zwölf auf vier Monate, sowie
- eine Verkürzung des für Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsplanungen notwendigen Zeitraums von jeweils sechs auf vier Monate.
Nach § 4 Abs. 2 SanInsKG gelten diese Übergangsvorschriften in dem Zeitraum vom 9. November 2022 bis einschließlich 31. Dezember 2023. Zwar enthalten weder der Wortlaut der Vorschrift noch die Gesetzesbegründung eine eindeutige Aussage dazu, ob die Vorschrift auch für solche Prognose- bzw. Planungszeiträume gilt, die zwar vor dem 31. Dezember 2023 beginnen, jedoch erst nach dem Jahreswechsel enden. Die Gesetzesbegründung geht aber von „einer gewissen Vorwirkung“ des Auslaufens der Übergangsvorschriften aus. Ob es diese gibt und wie genau diese ausgestaltet ist, wird in der juristischen Literatur kontrovers diskutiert.
2. Vorwirkung der Beendigung der Übergangsvorschriften aus Vorsichtsgründen zu beachten
Wegen der nicht eindeutigen rechtlichen Lage muss daher allein schon aus Vorsichtsgründen für die insolvenzrechtliche Fortführungsprognose bereits ab dem 1. September 2023 wieder ein Prognosezeitraum von mindestens zwölf Monaten zugrunde gelegt werden. Die Länge des Prognosezeitraums kann den Unterschied bei der Frage machen, ob ein Unternehmen überschuldet und damit insolvent ist. In diesem Fall müssen die Geschäftsleiter des betreffenden Unternehmens ohne schuldhaftes Zögern Insolvenzantrag stellen. Tun sie dies nicht oder verzögern sie die Antragstellung, setzen sie sich Schadensersatzansprüchen und unter Umständen sogar Strafbarkeitsrisiken aus. Das Risiko, dass bei der Beurteilung der Überschuldung ein zu kurzer Prognosezeitraum von vier Monaten angewendet wird und aufgrund dessen Haftungsansprüche gegen die Geschäftsleiter geltend gemacht werden, sollte dringend vermieden werden.
Gleiches muss letztlich aus Vorsichtsgründen auch für Finanzplanungen im Rahmen der Beantragung einer Eigenverwaltung bzw. einer Stabilisierungsanordnung nach dem StaRUG gelten. Zwar ist das Risikoprofil möglicherweise zu kurz bemessener Planungszeiträume ein anderes und die Gesetzesbegründung bezieht eine mögliche Vorwirkung ausschließlich auf die Fortführungsprognose nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO. Aus Vorsichtsgründen ist aber auch insoweit zu raten, bereits ab dem 1. September 2023 wieder den ursprünglichen Planungszeitraum (sechs Monate) zugrunde zu legen.
3. Übergangsweise Höchstfrist von acht Wochen zur Stellung eines Insolvenzantrags bleibt zunächst unberührt
Auch für die derzeit achtwöchige Höchstfrist für die Insolvenzantragstellung stellt sich die Frage, ab wann Geschäftsleiter wieder eine sechswöchige Höchstfrist beachten müssen. Da sich hier eine Handlungspflicht erst am Ende der Frist ergibt, sprechen gute Argumente dafür, dass eine solche Vorwirkung jedenfalls nicht vor Ablauf des 31. Dezembers 2023 eintreten kann. Allerdings gibt es bereits Stimmen, die sich dafür aussprechen, die sechswöchige Höchstfrist bereits vor Jahreswechsel auf alle Fälle anzuwenden, bei denen eine achtwöchige Frist nach dem 31. Dezember 2023 auslaufen würde. Konkret würde das bedeuten, dass bei allen Fristen, die ab dem 6. November 2023 beginnen, bereits spätestens nach sechs Wochen ein Insolvenzantrag wegen Überschuldung (im Beispiel am 18. November 2023) zu stellen wäre. Eine Klarstellung des Gesetzgebers wäre wünschenswert. In der Praxis wird es allerdings darauf oftmals nicht ankommen, da die Höchstfrist in der Regel ohnehin nicht ausgeschöpft wird.
4. Fazit
Bereits ab dem 1. September 2023 sollte für die insolvenzrechtliche Fortführungsprognose vorsorglich wieder der alte gesetzliche Prognosezeitraum von zwölf Monaten zugrunde gelegt werden, um eine persönliche Haftung der Geschäftsleiter zu vermeiden.