Am 31. Dezember 2020 sind die Übergangsregelungen des EU-Austrittsabkommens mit dem Vereinigten Königreich außer Kraft getreten. Zeitgleich ist das am 24. Dezember 2020 zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich geschlossene Handels- und Kooperationsabkommen seit dem 1. Januar 2021 vorläufig wirksam geworden. Für die dauerhafte Anwendung des Abkommens ist noch die Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich, die bis zum 30. April 2021 erfolgen soll.
Der Verkehrssektor ist in den Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ein wesentlicher Wirtschaftsmotor. Jährlich werden zwischen beiden Seiten etwa 210 Millionen Personen und 230 Millionen Tonnen Fracht befördert. Das Handels- und Kooperationsabkommen enthält zur Aufrechterhaltung und Unterstützung dieser Verkehrsströme u. a. Regelungen für ähnliche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen aus der EU und dem Vereinigten Königreich sowie gemeinsame, hohe Standards bei der Erbringung von Verkehrsdiensten, etwa im Hinblick auf Passagierrechte und die Verkehrssicherheit. Dennoch ergeben sich für europäische und britische Transport- und Logistikunternehmen teilweise erhebliche Änderungen.
Im Einzelnen:
1. Luftverkehr
Das Handels- und Kooperationsabkommen regelt den Bereich des Luftverkehrs ausführlich. Da das Vereinigte Königreich nicht mehr Mitglied der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) ist, britische Unternehmen nicht mehr von den europäischen Grundfreiheiten profitieren und gegenseitige Anerkennungen und Zulassungen sich nicht mehr nach europäischen Verordnungen richten können, wurden Ersatzregelungen erlassen, die einen effizienten Flugverkehr zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich weitgehend erhalten sollen.
Luftverkehrsrechte bestehen nach dem Handels- und Kooperationsabkommen gleichermaßen für den Überflug, nicht-kommerzielle Zwischenlandungen und für direkte Hin- bzw. Rückflüge zur kommerziellen Beförderung von Personen oder Fracht. Diese Rechte werden durch im Abkommen vereinbarte Diskriminierungsverbote flankiert, die eine weitreichende Gleichbehandlung von britischen und europäischen Luftfahrtunternehmen sicherstellen sollen. Die Vertragsparteien können gegen eine vertragswidrige diskriminierende Behandlung gegebenenfalls schiedsgerichtlich vorgehen.
Eine wesentliche Einschränkung des Marktzugangs ergibt sich allerdings dadurch, dass im Bereich des Personenflugverkehrs die Berechtigung für britische Luftverkehrsunternehmen entfällt, Linienflüge innerhalb der EU anzubieten. Ebenfalls unzulässig ist das Anbieten von Linienflugverbindungen zwischen der EU und anderen Drittstaaten – auch im Rahmen von Anschlussflügen. Gleichermaßen gilt dies im umgekehrten Verhältnis für EU-Unternehmen in UK.
Für den Frachtverkehr kann dagegen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und dem Vereinigten Königreich vereinbart werden, dass Zwischenlandungen für Anschlussflüge zulässig sind, soweit es sich nicht um Transportleistungen innerhalb der EU handelt.
Die Verordnung (EU) 1008/2008 des europäischen Luftverkehrsbinnenmarkts gilt für das Vereinigte Königreich nicht mehr. Bereits erteilte und am 31. Dezember 2020 bestehende Betriebsgenehmigungen für Luftfahrtunternehmen beider Parteien bleiben bestehen für Luftverkehrsunternehmen, die unmittelbar oder durch Mehrheitsbeteiligung im Eigentum eines oder mehrerer Mitgliedstaaten (einschließlich des Vereinigten Königreichs), anderer Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums, der Schweiz, von Staatsangehörigen dieser Staaten oder einer Kombination daraus stehen, und tatsächlich durch diese kontrolliert werden. Die Vorschriften zu erforderlichen Genehmigungen zum Betrieb von Luftverkehrsunternehmen lehnen sich also weitgehend an die bisherige europäische Regelung an. Es ist allerdings zu beachten, dass neue Betriebsgenehmigungen für britische Luftverkehrsunternehmen nur genehmigt werden können, wenn das Unternehmen unmittelbar oder durch Mehrheitsbeteiligung im Eigentum und unter Kontrolle des Vereinigten Königreichs und/oder seiner Staatsbürger steht und seinen Hauptgeschäftssitz im Vereinigten Königreich hat.
Weitgehende Zulassungserleichterungen werden im Bereich der Luftfahrttechnik ermöglicht. Ein noch einzurichtendes „Certification Board“ soll gemeinsame technische Vorgaben erstellen und Musterzulassungen validieren. Unwesentliche Änderungen können auch ohne dieses Verfahren akzeptiert werden.
Die EU und das Vereinigte Königreich sichern sich gegenseitige Unterstützung bei Bedrohungen der Luftverkehrssicherheit zu und vereinbaren gemeinsame Inspektionen sowie die Einhaltung von Minimalstandards, die durch die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) sowie durch das Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt gesetzt werden. Zudem wird das Vereinigte Königreich entsprechend der Durchführungsverordnung (EU) 2019/413 als Drittstaat mit vergleichbaren Sicherheitsstandards anerkannt.
2. Schienenverkehr
Das Handels- und Kooperationsabkommen erwähnt den Schienenverkehr nicht. Betreiber von grenzüberschreitenden Schienentransporten nach oder aus UK benötigen daher eine britische, sowie eine europäische Genehmigung. Gleiches gilt grundsätzlich für Sicherheitsbescheinigungen für die eingesetzten Züge.
3. Straßenverkehr
Der gewerbliche Straßengüter- und Personenverkehr wird von dem Handels- und Kooperationsabkommen eingehend behandelt. Soweit keine der in Art. 6 des Teilbereichs Drei, Titel 1 (ROAD) aufgeführten Ausnahmen einschlägig ist – diese betreffen u. a. Transporte in Kraftfahrzeugen mit geringem Gesamtgewicht, von Medikamenten und anderen Hilfsgütern, von beschädigten Fahrzeugen und Transporte zum Eigenbedarf – benötigen Güterkraftverkehrsunternehmen eine Zulassung, die von den Behörden der Vertragsparteien ausgestellt und gegenseitig anerkannt wird. Güterkraftverkehrsunternehmer aus der EU, die bereits in Besitz einer gültigen EU-Lizenz sind, dürfen weiterhin Beförderungen nach und von UK durchführen. Auch die Befähigungsnachweise für die Fahrer, sowie Anforderungen an die Kraftfahrzeuge sind gemeinsam geregelt und im Anhang des Abkommens ausführlich dargestellt.
Während der Transport von Gütern zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU für die jeweiligen Unternehmen grundsätzlich ohne erhebliche Beschränkungen möglich ist, gelten verschärfte Bedingungen für den Transport von Gütern innerhalb des Vereinigten Königreichs und der EU. So darf ein Lieferfahrzeug eines Unternehmens aus der EU im Zusammenhang mit einer Lieferung nach UK nur zwei weitere Transporte innerhalb von sieben Tagen nach Entladung vornehmen, bevor es in die EU zurückkehren muss. Britische Unternehmen dürfen gleichfalls nur zwei Transporte innerhalb der EU durchführen und nur einen innerhalb eines EU-Mitgliedstaates.
Im Bereich des Personenverkehrs gilt, dass ein Personentransport zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU weiterhin möglich ist, sofern die entsprechenden Unternehmen eine Genehmigung haben. Diese Genehmigung wird von den zuständigen Behörden der Vertragspartner erteilt und gegenseitig anerkannt. Eine Linienstreckenführung für britische Transportunternehmen, die sowohl als Ausgangs- wie auch als Endhaltestelle einen Ort innerhalb der EU vorsieht, ist nicht zulässig. Dies gilt umgekehrt auch für EU-Unternehmen, die in UK tätig sind.
4. Schiffsverkehr
Der Schiffsverkehr wird – sieht man von internationalen Seeverkehrsdienstleistungen ab – nicht gesondert im Abkommen erwähnt. Demnach entfällt grundsätzlich das Recht für britische Staatsangehörige und Unternehmen ein Schiff unter deutscher Flagge zu führen. Weiterhin benötigen britische Schiffe für Seekabotagefahrten in Deutschland eine Genehmigung der Generaldirektion für Wasserstraßen und Schifffahrt. Notwendige Schiffsüberprüfungen und -besichtigungen können weiterhin von gemeinsam anerkannten internationalen Organisationen erfolgen. Für Hafenstaatkontrollen gelten nunmehr ausschließlich die Regeln des Pariser Memo-randum of Understanding on Port State Control. Bei Liniendiensten zwischen der EU und UK muss nunmehr bei jedem Einlaufen in den Hafen ein Security Report abgegeben werden.
Aufgrund des Fehlens einer entsprechenden Regelung verlieren britische Unternehmen außerdem den Zugang zur europäischen Binnenschifffahrt, da Unternehmen der Binnenschifffahrt eine Niederlassung innerhalb der EU benötigen und Staatsangehörigen von EU-Mitgliedstaaten, die auch innerhalb der EU ihren Wohnsitz haben, gehören müssen. Zudem sind britische Schifferpatente in der EU nicht mehr gültig.
5. Fazit
Zwar wurde durch den Abschluss des Handels- und Kooperationsabkommens das Worst-Case-Szenario des „No Deal-Brexit“ verhindert. Allerdings kann auch das geschlossene Abkommen die Einschränkungen des Marktzugangs und die bürokratischen Belastungen, die der Wegfall der Vorteile des uneingeschränkten innereuropäischen Binnenmarktes für die Transport- und Verkehrsindustrie mit sich bringt, in vielerlei Hinsicht nicht kompensieren.
Im Bereich des Luftverkehrs und des Straßenverkehrs wurden zwar Regelungen beschlossen, die einen grenzüberschreitenden Transport von Waren und Personen weitgehend ermöglichen. Gleichwohl ist insbesondere die Möglichkeit, Transportleistungen innerhalb des Territoriums der anderen Vertragspartei anzubieten, eingeschränkt bis gänzlich unzulässig. Darüber hinaus fällt die automatische Anerkennung für Zulassungen und Genehmigungen infolge des EU-Austritts grundsätzlich weg. Dies bringt einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand mit sich. Da für den Transportsektor Schnelligkeit und die zuverlässige Organisation der Lieferketten von essentieller Bedeutung sind, sind Verkehrs-, Transport- und Logistikunternehmen gut beraten, wenn sie die jeweiligen Auswirkungen des Handels- und Kooperationsabkommens auf ihre Bereiche gründlich prüfen und die Einhaltung der neuen Erfordernisse sicherstellen.