Am 18. April 2023 hat das Bundesministerium der Justiz ein Eckpunktepapier zur Modernisierung des deutschen Schiedsverfahrensrechts veröffentlicht (BMJ | Pressemitteilungen | Modernisierung des deutschen Schiedsverfahrensrechts: Bundesjustizminister legt Vorschläge vor). Es identifiziert Regelungsgegenstände, die an internationale Entwicklungen im Schiedsverfahrensrecht angepasst werden sollen. Vier weitere Punkte möchte das BMJ ergebnisoffen prüfen. Das Eckpunktepapier enthält insbesondere Ansatzpunkte, um
Schiedsverfahrensrecht durch die Vereinfachung von Formvorschriften im Wirtschaftsverkehr und die Modernisierung von Verfahrensregelungen international konkurrenzfähiger zu machen;
- Spezialisierung, Verlässlichkeit und Transparenz im Schiedsverfahrensrecht durch Anpassungen bei den Zuständigkeiten der Oberlandesgerichte und die Einführung eines neuen Rechtsbehelfs zu stärken sowie Schiedsgerichte und Parteien zur Veröffentlichung von Schiedssprüchen anzuhalten;
- die Rechtssicherheit im Schiedsverfahrensrecht durch Anpassungen und Konkretisierungen von Rechtsbehelfen vor staatlichen Gerichten und Regelungen zur Schiedsrichterbestellung zu erhöhen; und
- den Eilrechtsschutz im schiedsverfahrensrechtlichen Kontext effektiver zu machen.
Formlos, englisch und digital
Der Schiedsstandort Deutschland soll international konkurrenzfähiger werden. Das Eckpunktepapier setzt hierfür u.a. bei der Vereinfachung von Formvorschriften und der Modernisierung von Verfahrensregelungen an:
- Im Wirtschaftsverkehr soll der formlose Abschluss von Schiedsvereinbarungen ermöglicht werden. Damit sollen insbesondere Zweifel an elektronisch vereinbarten Schiedsvereinbarungen ausgeräumt werden, was etwa im Zusammenhang mit sog. Smart Contracts relevant werden kann. Die Regelung würde auch dazu führen, dass mündliche Schiedsvereinbarungen nach deutschem Recht möglich würden. Für Verbraucherschiedsvereinbarungen sollen die derzeitigen strengen Anforderungen des § 1031 Abs. 5 ZPO bestehen bleiben.
- Es soll möglich werden, den Schiedsspruch sowie Schriftstücke aus dem Schiedsverfahren im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung bzw. die Aufhebung von Schiedssprüchen in englischer Sprache vorzulegen. Entsprechendes soll in Verfahren zur Unterstützung in der Beweisaufnahme (§ 1050 ZPO) gelten. Das spart nicht nur Zeit, sondern auch Übersetzungskosten.
- Daneben wird die Klarstellung beabsichtigt, dass eine Schiedsverhandlung im Wege einer Videokonferenz durchgeführt werden kann, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Bislang war nicht unumstritten, ob es im Ermessen des Schiedsgerichts steht, die videotelefonische Durchführung einer Schiedsverhandlung auch gegen den Willen einer Partei anzuordnen.
Spezialisierung, Verlässlichkeit und Transparenz
Das Eckpunktepapier hat außerdem das Ziel, Spezialisierung, Verlässlichkeit und Transparenz im Schiedsverfahrenskontext zu fördern:
- Das BMJ möchte den Ländern mit Commercial Courts ermöglichen, diese auch ohne ausdrückliche Parteivereinbarung zumindest für Anträge auf Vollstreckbarerklärung oder auf Aufhebung von Schiedssprüchen für zuständig zu erklären. Vor den Commercial Courts wäre die Durchführung des gesamten Verfahrens in englischer Sprache möglich. Ggf. werden Bundesländer darüber hinaus die Möglichkeit erhalten, bundesländerübergreifende gemeinsame Spruchkörper von Oberlandesgerichten in Schiedssachen zu errichten. Eine solche Bündelung der Expertise dürfte die Qualität und Vorhersehbarkeit der Entscheidungen sowie die Geschwindigkeit der Verfahren positiv beeinflussen.
- Zudem soll geprüft werden, ob gerichtliche Unterstützung bei der Beweisaufnahme oder die Vornahme sonstiger richterlicher Handlungen nach § 1050 ZPO, für die bislang die Amtsgerichte zuständig sind, auch auf die sonst für Schiedsverfahren zuständigen Oberlandesgerichte übertragen werden sollten. Dies erscheint vor dem Hintergrund der sonstigen Zuständigkeit der Oberlandesgerichte in Schiedssachen im Ausgangspunkt konsequent.
- Ein weiterer Punkt des Eckpunktepapiers ist die Einführung eines Rechtsbehelfs zur Aufhebung von Schiedssprüchen, der an die Restitutionsklage nach § 580 ZPO angelehnt ist. Bestandskräftige inländische Schiedssprüche sollen etwa beseitigt werden können, wenn sie durch Bestechung oder Rechtsbeugung erwirkt wurden. Dadurch soll die Verlässlichkeit des Schiedsstandorts Deutschland gestärkt werden.
- Sofern die Parteien einverstanden sind, sollen Schiedsgerichte künftig die gesetzlich verankerte Möglichkeit haben, Schiedssprüche zu veröffentlichen. Dies soll die Transparenz im Schiedsverfahren erhöhen und die Rechtsfortbildung fördern. Die Annahme dieser Regelung durch die Praxis bleibt abzuwarten.
Rechtssicherheit
Ein weiterer Ansatzpunkt des Eckpunktepapiers ist die Erhöhung der Rechtssicherheit durch Anpassungen von und Klarstellungen zu bestehenden Rechtsbehelfen und Normen der ZPO sowie die Einführung von Regelungen zur Benennung von Schiedsrichtern in Mehrparteienverfahren:
- Der Antrag auf Feststellung der (Un-)Zulässigkeit eines Schiedsverfahrens (§ 1032 Abs. 2 ZPO) soll dahingehend verändert werden, dass das angerufene Gericht zugleich über die Existenz bzw. die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung entscheiden kann. Die Prozessökonomie soll gestärkt werden, indem die Entscheidung über den Bestand der Schiedsvereinbarung in Rechtskraft erwächst.
- Daneben ist geplant, staatlichen Gerichten die Aufhebung negativer Zuständigkeitsentscheidung von Schiedsgerichten zu ermöglichen. Während eine positive Zuständigkeitsentscheidung entweder nach § 1040 Abs. 3 Satz 2 oder § 1059 ZPO vor den staatlichen Gerichten angegriffen werden kann, können Gerichte negative Prozessschiedssprüche nur nach § 1059 ZPO auf Grundlage der dort genannten Gründe aufheben – die Begründung, dass das Schiedsgericht entgegen seiner eigenen Auffassung zuständig ist, gehört nicht dazu. Hierdurch wird die Parteiautonomie gestärkt.
- Außerdem soll klargestellt werden, dass das staatliche Gericht bei der Versagung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung unter gleichzeitiger Aufhebung des Schiedsspruchs nach § 1060 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Sache entweder auf Antrag einer Partei an das Schiedsgericht zurückverweisen kann, oder die Aufhebungsentscheidung zur Folge hat, dass die Schiedsvereinbarung bezüglich des Streitgegenstands wiederauflebt. Dies ist bislang nur für das Aufhebungsverfahren geregelt (§ 1059 Abs. 4 und 5 ZPO), wobei § 1059 Abs. 4 ZPO schon unter bestehender Rechtslage von der h.M. analog auf § 1060 ZPO angewandt wird.
- Das Eckpunktepapier spricht schließlich schiedsrichterliche Sondervoten (dissenting opinions) an. Das BMJ prüft, ob es hierzu einer gesetzlichen Klarstellung bedarf.
- Durch die Schaffung von Regelungen für die Schiedsrichterbestellung in komplexen Mehrparteienschiedsverfahren soll mehr Rechtssicherheit geschaffen werden.
- Anordnungen der oder des Vorsitzenden nach § 1063 Abs. 3 Satz 1 ZPO ohne vorherige Anhörung des Gegners im Rahmen der Zwangsvollstreckung bzw. Vollziehung vorläufiger/sichernder Maßnahmen des Schiedsgerichts sollen auf dringende Fälle beschränkt werden.
Einstweiliger Rechtsschutz
Schließlich soll im Rahmen der Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts der schiedsverfahrensrechtliche einstweilige Rechtsschutz gestärkt werden.
- Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes von Schiedsgerichten können in Deutschland bislang jedenfalls dann für vollziehbar erklärt werden, wenn der Schiedsort im Inland liegt (vgl. §§ 1041 Abs. 2, 1025 Abs. 1 ZPO). Das reformierte Schiedsverfahrensrecht soll nun auch explizit die Vollziehbarerklärung von Entscheidungen von Schiedsgerichten mit Sitz im Ausland ermöglichen. Gleichzeitig sollen die deutschen Gerichte ermächtigt werden, eine entsprechende Vollziehungszulassung von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.
- Daneben soll im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsprozesses überprüft werden, ob auch ein sogenannter Eilschiedsrichter in das 10. Buch der ZPO eingeführt werden sollte. Dieser ist bereits in mehreren institutionellen Schiedsordnungen vorgesehen. Nach Art. 29 der Schiedsgerichtsordnung der Schiedsinstitution der Internationalen Handelskammer kann der Eilschiedsrichter bspw. schon vor Konstituierung des Schiedsgerichts angerufen werden, um solche vorläufige Maßnahmen anzuordnen, deren Erlass nicht bis zur Konstituierung des Schiedsgerichts abwarten kann.
Fazit
Das Eckpunktepapier ist ein begrüßenswerter Schritt zur Modernisierung des deutschen Schiedsverfahrensrechts und der Stärkung des Justizstandorts Deutschlands im internationalen Wettbewerb. Wir warten mit Spannung auf den die Reformbestrebungen konkretisierenden Referentenentwurf des BMJ.