"Entschuldigung, ich bin ein bisschen zu spät“, sagt Gabriele Roßkopf, als sie vier Minuten nach der vereinbarten Zeit den Raum betritt. Es ist ein mit Terminen voll gespickter Donnerstag. Aber für diese drei Buchstaben nimmt sich die Partnerin Zeit: E – S – G. Environment, Social, Governance, Nachhaltigkeit, Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft, Gabriele Roßkopf ist das wichtig. Zu erzählen hat sie darüber viel. Aber der Reihe nach. Als Mitglied des Sozietätsrats hatte sich Gabriele Roßkopf schon vor einigen Jahren mit ESG befasst. Als sie Ende 2021 aus dem Rat ausschied, blieb das Thema im positiven Sinne an ihr hängen. „Ich wollte, dass wir ESG aktiv weiter vorantreiben“, sagt die Partnerin im Bereich Gesellschaftsrecht/M&A. „Und ich habe gleich gesagt: Wenn wir uns als Kanzlei mit ESG beschäftigen, dann machen wir das richtig.“ Richtig heißt: ESG braucht ein Konzept und daraus abgeleitet interne Policies, an denen sich alle in der Kanzlei in ihrem Arbeitsalltag orientieren können. Richtig heißt auch: mit Stetigkeit und Organisation.
Struktur statt Aktionismus
Anfang 2022 gründete Gleiss Lutz einen ESG-Ausschuss. Dem gehören neben Gabriele Roßkopf drei weitere Partner, die beiden Managing Partner der Kanzlei sowie die Leiter der Business Service Units HR Legal und BD & Marketing an. Im Ausschuss werden Ideen gebündelt und entwickelt, Verantwortlichkeiten für Teilaufgaben verteilt, Projekte gemanagt. Wenn etwas entscheidungsreif ist, geht es zur Abstimmung an den Sozietätsrat, jedenfalls dann, wenn das geplante Projekt die Kanzlei in weitreichenderem Umfang betrifft oder mit nicht unerheblichen Kosten verbunden ist. „Es war ja keineswegs so, dass es bei uns bis dahin noch keine Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit gab“, blickt Gabriele Roßkopf auf die Anfänge des Ausschusses zurück. „Vielmehr waren wir überrascht, wie viele Maßnahmen wir seit Jahren schon umgesetzt hatten“. Was allerdings fehlte, war ein gemeinsames Dach dafür, eine Struktur, die die einzelnen Bausteine verbindet. Für den Einstieg in einen strukturierten Umgang mit ESG orientiert sich Gleiss Lutz an einem weltweit anerkannten Bezugsrahmen für die (Weiter-)Entwicklung von ESG-Strategien, -Zielen und -Maßnahmen: den universellen Prinzipien und Sustainable Development Goals (SDG) des UN Global Compact, einer Initiative der Vereinten Nationen, die vor dem Hintergrund einer gerechteren Ausgestaltung der Globalisierung gegründet wurde und sich für eine inklusivere und nachhaltigere Wirtschaft engagiert. „Natürlich treffen manche Prinzipien und Ziele auf ein Beratungsunternehmen wie das unsrige mehr zu als andere“, erklärt Gabriele Roßkopf. Aus den insgesamt 17 SDG wählte der Ausschuss deshalb sechs Ziele aus, auf die sich die ESG-Maßnahmen der Kanzlei konzentrieren sollen.
Klima- und Umweltschutz
Bei Gleiss Lutz beginnt der Umweltschutz bereits bei der Auswahl der Büros: örtlich zentral gelegen, das heißt, gut auch mit Bus und Bahn erreichbar, ökologisch gebaut, sprich mit moderner Energie- und Klimatechnik ausgestattet. So erfolgte der Umzug in Berlin in das „Cube“. Das zehngeschossige Gebäude in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs ist mit seiner nach innen gefalteten Glasfassade in mehrfacher Hinsicht smart: Es merkt sich die persönlichen Präferenzen der Nutzer hinsichtlich Klimaregelung, Beleuchtung und Sonnenschutz, sodass die Gebäudeautomation jederzeit weiß, wie viele Menschen sich in den Räumen aufhalten. Die Raumtemperatur wird dann entsprechend gesteuert. Sonneneinstrahlung wird entweder in Energie zur Kühlung umgesetzt oder entlastet durch Wärmegewinnung die Heizung. In Stuttgart, Düsseldorf und Frankfurt sind die Gleiss Lutz-Gebäude von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen mit den Siegeln Platin und Gold zertifiziert. Den Ressourcenverbrauch im fortlaufenden Bürobetrieb wie auch die IT-Infrastruktur stellt die Kanzlei ebenso auf den Prüfstand wie den Umgang mit Dienstreisen. Der Zuspruch für die Nachhaltigkeitsinitiativen ist groß. „Ganz überwiegend sind die Reaktionen sehr positiv, wenn wir weitere Optimierungspotenziale aufzeigen“, bestätigt Gabriele Roßkopf. Für die jüngere Generation sei aktiver Klimaschutz ohnehin gesetzt. „Bei manchen Partnerkollegen mache ich mich noch ein bisschen unbeliebt, wenn ich frage, ob eine Flugreise denn wirklich sein muss“, so Gabriele Roßkopf. Geholfen habe da die Pandemie, die gezeigt habe, dass sich Geschäftsreisen deutlich reduzieren ließen – Teams oder Zoom statt für eine Stunde Meeting von Berlin nach München zu jetten. Sind Reisen zum Mandanten erforderlich, lautet die Devise für viele immer öfter: Zug statt Flug. Kurze Erledigungen oder Termine im Umkreis können die Anwälte zudem mit Gleiss Lutz-Fahrrädern erledigen „Das ist keine große Sache, aber es macht Spaß, wenn man mit dem Gleiss Lutz-Fahrrad Termine wahrnimmt“, berichtet Partnerin Ocka Stumm, die ebenfalls Mitglied des ESG-Ausschusses ist, „vor allem, wenn man das Fahrrad mit Logo vor anderen Kanzleien parken kann."
Soziale Verantwortung
Wenn es um Verantwortung für die Gesellschaft geht, setzt Gleiss Lutz dort an, wo besondere Stärken der Anwälte liegen: Wissen erweitern und vermitteln, Bildung fördern. „Wissenschaftlicher Diskurs und kontinuierliche Weiterbildung sind für uns essenziell“, sagt Partner Ulrich Soltész, der sich im ESG-Ausschuss besonders für das Thema Bildung engagiert. „Dazu gehört für uns nicht nur die juristische Diskussion und Ausbildung im engeren Sinne, sondern auch der Austausch zu angrenzenden sozialen und Governance-Themen, in deren Kontext wir genauso wie unsere Mandanten agieren." Um Nachwuchsjuristen einen leichteren oder spezifischeren Zugang zu Bildungsangeboten zu eröffnen, vergibt Gleiss Lutz Stipendien für Auslandsstudiengänge, unterstützt Doktoranden bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit und engagiert sich seit vielen Jahren höchst aktiv an den Universitäten. Gesellschafts- und wirtschaftspolitisch besonders relevante Entwicklungen wie Digitalisierung, globale Lieferketten, Energiesicherheit oder Whistleblowerschutz sind Gegenstand interner Workshops und Seminare, und die Anwälte teilen ihre Erkenntnisse dazu regelmäßig in Veröffentlichungen und Veranstaltungen. Wie in vielen Großkanzleien hat nicht zuletzt auch die Pro-bono Rechtsberatung bei Gleiss Lutz eine längere Tradition. Wir haben schon immer Menschen in Not und NGOs ohne Honorar zu ihrem Recht verholfen, meist ohne das an die große Glocke zu hängen“, sagt Gabriele Roßkopf. Beispiele für jüngere Pro-bono-Mandate sind die juristische Beratung des „Singa Business Lab“, einer Initiative, die geflüchteten Menschen bei der Unternehmensgründung hilft, und die Unterstützung der NGO der Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad, einer Jesidin aus dem Irak, bei der Gründung eines Büros in Deutschland.
Chancengerechtigkeit und Vielfalt
Unter das Dach der ESG-Strategie sind auch die Gleiss Lutz-Initiativen zur Förderung von Frauen und für gelebte Vielfalt in der Kanzlei gerückt. „Women in Business“ bietet ein starkes internes Netzwerk, aber auch viele Veranstaltungen für Mandantinnen und Anwältinnen. „Beim Thema Frauenförderung haben wir in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht“, sagt Hannah Bug, Counsel in Berlin. „Immer mehr Anwältinnen engagieren sich, um den Austausch und das Netzwerk zwischen Kolleginnen, Nachwuchsjuristinnen und Mandantinnen zu fördern.“ Für mehr Flexibilität und eine bessere Vereinbarkeit von Karriere und Familie bietet Gleiss Lutz verschiedene „Flex-Time“-Modelle auf allen Ebenen. Die neue Homeoffice Policy verstärkt die Flexibilisierung. Nicht zuletzt war Gleiss Lutz die erste Kanzlei im deutschen Markt, die eine Teilzeitpartnerschaft angeboten hat. Mit Gründung von „Gleiss Lutz "UNIQUE“ wurde ein Forum zur Stärkung der LGBTQ+-Community innerhalb der Kanzlei geschaffen. „Neben dem Werben für mehr Toleranz geht es uns vor allem um die Wertschätzung für Verschiedenheit mit all ihren Potenzialen“, betont Martin Viciano Gofferje, Partner und Diversity-Beauftragter bei Gleiss Lutz. Interne Veranstaltungen wie das Jahrestreffen 2022 in Berlin stellen Erfahrungsaustausch und Diskussionen zu Diversity in Beruf und Gesellschaft in den Vordergrund. Auch bei Recruiting-Events ist „UNIQUE“ heute ein fester Bestandteil.
Initiativen und Projekte
Mit zunehmendem Bewusstsein für ESG kommen immer mehr Aktivitäten initiiert durch Gleiss Lutz-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinzu. Aus dem internen Ideenwettbewerb „Heute für morgen“ entstanden mehr als 50 Vorschläge, darunter ein „Einmaleins des Energiesparens“ sowie die Förderung der Grundwertebildung an Schulen über den Verein 10drei e.V. in München, der beim „startsocial“-Wettbewerb als eine von sieben Initiativen für herausragendes soziales Engagement prämiert wurde. Im Rahmen des „Safe Harbor Project“ unterstützen Gleiss Lutz-Mitarbeiter ukrainische Studenten, hierzulande Fuß zu fassen. ESG als Chance zu begreifen, zahlt sich auch in Richtung der Mandanten aus – wenn diese es nicht ohnehin bereits einfordern. „ESG entwickelt sich zum Business Imperativ“, sagt Marc Ruttloff, der gemeinsam mit Vera Rothenburg und Eric Wagner die Branchengruppe ESG bei Gleiss Lutz leitet. „Für unsere Mandanten spielen Nachhaltigkeit, Klimaschutz, soziale Verantwortung und Vielfalt eine immer größere Rolle in ihren Geschäftsaktivitäten, aber auch bei der Auswahl ihrer Berater.“ So wird in Pitchprozessen immer häufiger verlangt, dass sich die teilnehmenden Kanzleien an Prinzipien des UN Global Compact orientieren. Sie sind dann gefordert darzulegen, was sie für die Gleichstellung der Geschlechter tun, welche Maßnahmen sie für einen sparsamen Umgang mit Ressourcen umgesetzt haben oder wie verantwortungsbewusst sie sich bei der Beschaffung zeigen. Umgekehrt gilt: Ohne ESG-Nachweis leiden Reputation und Glaubwürdigkeit und im Zweifel auch die Auftragslage. „Wenn wir uns aber als erstklassige, erfolgreiche und wertegetragene Sozietät positionieren, ergänzt ESG ganz natürlich unseren Wertekanon“, ist sich Co-Managing Partner Alexander Schwarz sicher. „Dann eröffnet uns das auch neue Beratungsfelder und neue Mandantenkontakte in diesem Segment.“
ESG in der Beratung
Aus der anwaltlichen Beratung selbst sind die Faktoren Environment, Social, Governance mittlerweile ebenfalls nicht mehr wegzudenken. Green Deal, Green Finance und Green Building, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, Antidiskriminierungsgesetze und Whistleblowerschutz, ESG Due Diligence bei M&A-Transaktionen und vieles mehr sind spannende Beratungsfelder. „Dass der Gesetzgeber die Regulierungsschrauben immer fester anzieht, ist für Unternehmen ebenso eine Herausforderung wie eine Zunahme von Prozessen, in denen Umweltschutzverbände Unternehmen zur Einhaltung von Klimazielen verpflichten wollen, oder der Umgang mit Investoren, die Nachhaltigkeitsnachweise einfordern“, benennt Eric Wagner, ein weiterer Gründungsvater der ESG-Initiative und ebenfalls Mitglied im dazugehörigen Ausschuss, einige Beispiele. „ESG ist gekommen, um zu bleiben. Es wird uns als Gesellschaft ebenso wie als Anwälte dauerhaft fordern, aber damit hoffentlich auch zu einer ein Stück weit besseren Welt führen.“